Ya basta! – Es reicht!

    Eine Buch-DVD-Edition dokumentiert Eindrücke vom ersten Treffen der Zapatistinnen mit den Frauen der Welt und berührende Zeugnisse eines Emanzipationsprozesses


    Von Mareen Heying



    »Wir geben uns nicht mit halben Lösungen zufrieden und fordern wirkliche Veränderung, so wirklich, wie die Worte und Kämpfe der Frauen aus Chiapas sind. Damit sie nie wieder als Ware behandelt werden und man ihnen zurückgibt, was ihnen gehört. Ihre Berge und Ländereien, die Wälder und ihre Früchte, ihre Kinder, ihr Schicksal und ihre Sprache.« Die Einleitung des Buchs »Das Recht, glücklich zu sein« gibt bereits einen Vorgeschmack auf die aufwühlenden Stellungnahmen, die darin zu finden sind. Die Dokumentation über das erste Treffen der zapatistischen Frauen im südmexikanischen Chiapas mit den Frauen der Welt, jetzt herausgegeben vom Münsteraner Verein »zwischenzeit«, bietet umfangreiches Bildmaterial, autobiographische Texte und eine DVD mit den eindringlichen und ehrlichen Reden der Indigenas.

    Männer blieben draußen

    Zu dem Treffen vom 29. bis 31. Dezember 2007 kamen rund 5000 Gäste aus 30 Ländern nach La Garrucha im Lakandonischen Regenwald. Die Organisation oblag voll und ganz den Zapatistinnen. Zwar waren sowohl Frauen als auch Männer geladen, doch während der Foren wurden die Männer des Saales verwiesen, Rederecht hatten nur Frauen. Die Männer hatten während des Treffens die Aufgabe zu kochen, zu putzen und auf die Kinder aufzupassen. Und daran hielten sich alle.

    Nikola Siller und Dorit Siemers vom zwischenzeit-Kollektiv waren dabei. Der Verein begleitet den Kampf der zapatistischen Frauen seit 1994 solidarisch. In dem Jahr ging die EZLN, die Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung, bewaffnet an die Öffentlichkeit, um für ein Leben in Würde zu kämpfen, das den Indigenas vom mexikanischen Staat verwehrt wurde. Die Compañeras und Compañeros wollten lieber im Kampf gegen den Feind sterben als vor Hunger oder an heilbaren Krankheiten. Dabei war es für die Frauen und Männer völlig neu, Seite an Seite zu kämpfen. So berichtet die Comandanta Maribel von Genossen, die 1984 zu den Indigenas kamen, um diese für den Kampf zu rüsten. »Sie sagten uns, daß die Frauen das Recht haben, in allen Arbeitsbereichen aktiv zu sein.« Erst da verstand sie, daß es nicht stimmte, was ihr und den anderen Frauen all die Jahre zuvor beigebracht worden war: »daß wir für die Gesellschaft nichts wert seien«. Früher schufteten sie auf den Fincas der Großgrundbesitzer, die sie wie Sklavinnen behandelten. Mädchen wurden von den Landbesitzern vergewaltigt, Schwangere zur Arbeit gezwungen, Bildung blieb Frauen verwehrt. Zugleich wurden sie auch von ihren ebenfalls ausgebeuteten und von den Latifundistas betrunken gemachten Ehemännern schlecht behandelt, erniedrigt, mißhandelt. Daß unabhängig vom Geschlecht die gleichen Rechte gelten, mußten Männer wie Frauen erst lernen.

    Frauenrechtecharta

    Das Buch dokumentiert eindrucksvoll den harten Weg der Zapatistinnen. Sie haben gelernt, ihre Stimme zu erheben; ihre frühere Angst und Scham haben sie abgelegt. 1993 proklamierten die Compañeras das Revolutionäre Frauengesetz, das ihnen in zehn Punkten ihre Grundrechte zusichern sollte. Erweitert wurde es drei Jahre später. In den jetzt 41 Artikeln wird ihnen unter anderem das Recht auf »Ausruhen und Selbstorganisation« zugesichert. Und die Regeln wirken: »Wer gegen das Gesetz verstößt, wird sanktioniert«, weiß Nikola Siller.

    Nach dem Aufstand 1994 – 30 Prozent der Kämpfer waren Frauen – verbesserten sich ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen. Die Menschen bestellen ihr eigenes, oft von den Großgrundbesitzern zurückerobertes Land; die Frauen entscheiden selbst, wen sie heiraten, wann und wie viele Kinder sie bekommen möchten, sie können an allen Versammlungen teilnehmen und alle Ämter bekleiden. Zwar funktioniert in der Praxis längst nicht alles zufriedenstellend, aber wirkliche Repressionen erleiden die Indigenas heute vor allem von seiten der mexikanischen Regierung. Denn die Gebiete, in denen sie leben, sind reich an Rohstoffen. »Es herrscht ein Krieg niederer Intensität«, meint Siller dazu; »Paramilitärs lassen Dörfer räumen, es wird versucht, die Leute in Städte umzusiedeln, sie aus ihrem Gebiet zu vertreiben.«

    Doch die EZLN kämpft weiter. Ihre Angehörigen wollen ihre Bräuche und Sprachen erhalten, auf dem Land leben, das ihnen zusteht und als indigene Bevölkerung anerkannt werden. Die Zapatisten sind längst mit anderen linken Gruppen in Mexiko vernetzt. Gemeinsam haben sie das Ziel, andere gesellschaftliche Verhältnisse und eine neue Verfassung zu schaffen. Und so kämpfen auch die Frauen täglich gegen sexistische und rassistische Unterdrückung. Sie lehren ihre Kinder, daß Mädchen und Jungen die gleichen Rechte haben, und hoffen, daß ihre Nachkommen in einer besseren Welt leben können. Deshalb haben die Zapatistinnen die Frauen der Welt aufgefordert, überall für ein Leben in Gerechtigkeit und Würde zu kämpfen.

    Zwischenzeit (Hrsg.): Das Recht, glücklich zu sein - Der Kampf der zapatistischen Frauen in Chiapas/Mexiko. Zwischenzeit e.V., Münster 2010, 128 Seiten, 16 Euro * zahlreiche farbige Abbildungen, inkl. DVD, zzgl. Porto, zu bestellen über buch(a)zwischenzeit-muenster.de bzw. bei Zwischenzeit e.V., Breul 43, 48143 Münster

    QUELLE: http://www.jungewelt.de/2010/10-22/048.php