DER KLEIDERHAKEN

    Die Schattenseiten des Freihandels in der globalen Bekleidungsindustrie

    - PRESSE -


    Des Kapitalismus neue Gewänder
    ...in Maquiladoras gefertigt

    Wenn Discounter Kleidung billig anbieten können, fragt man sich, wo der Haken ist, der Kleiderhaken in diesem Fall. „Der Kleiderhaken“ heißt denn auch zutreffend ambivalent die gut recherchierte Kritik des Filmteams von Zwischenzeit e.V. an den „Schattenseiten des Freihandels“. Dorit Siemers und Heiko Thiele haken, um im Bild zu bleiben, konsequent und kompetent nach. Sie analysieren in ihrer dritten Dokumentation zum ökonomisch-infrastrukturellen Großprojekt Plan Puebla-Panamá (PPP) Produktionsbedingungen und Vertriebswege in der globalen Textil- und Bekleidungsindustrie.

    Der zur Ikone avancierte Freihandel stellt einen abscheulichen Euphemismus dar, da die Freiheit des Markts über die Freiheit des Menschen positioniert wird – „Profit over People“ lautet die Maxime der neoliberalen Apologeten der Ideologie einer ideologiefreien Zeit, des Endes der Geschichte. Der Mantel dieser Geschichte wird in den Maquiladoras, in den Niedriglohnfabriken genäht. Der Kapitalismus hüllt sich in neue Gewänder, die er in den Wühltischen der Welt abgreift. 90 % der in der Bundesrepublik verkauften Kleidung stammen aus Maquiladoras, z.B. aus San Pedro Sula in Honduras. Siemers und Thiele sehen sie sich genauer an. Die Verantwortlichen hüllen den Mantel des Schweigens über die Menschenrechtsverletzungen und Ausbeutungsverhältnisse. Wer sich wehrt, wird eingeschüchtert. Wer etwa infolge einer Vergewaltigung durch einen Vorgesetzten schwanger wird, wird fristlos gekündigt. Es drohen Repressionen bis hin zum Mord. Schwarze Listen von „Aufmüpfigen“ existieren fabrikübergreifend. Arbeitsschutz und Umweltschutz sind Fremdwörter; Gesundheit und Leben gelten wenig. Bayer und Freshtex z.B. setzen in den Maquiladoras Chemikalien ein, die in Europa längst verboten sind, aber über die Kleidung quasi reimportiert werden.

    Die rund 5.000 zoll- und steuerbefreiten „Sonderwirtschaftszonen“ weltweit entziehen sich der jeweils nationalen Gesetzgebung und werden hermetisch abgeschirmt, auch von Paramilitärs. Über 40 Millionen Menschen werden so entrechtet und ausgebeutet. In Honduras sind von ihnen 130.000 in 200 Maquiladoras beschäftigt. Drei von vier Angestellten sind weiblich, teilweise minderjährig. Das Lohndumping zeitigt eine perverse Dynamik. Bestimmte Arbeitsvorgänge werden in die Heimarbeit ausgelagert, die sogar noch schlechter bezahlt wird als die Tätigkeit in einer Maquiladora. Unabhängige Nähereien können nicht mehr konkurrieren; die regionale Ökonomie wird zerstört. Die Arbeiter/ innen haben keine Alternativen zum Ausgebeutet Werden.

    Siemers und Thiele nennen die Namen der Ausbeuterkonzerne, u.a. adidas, Nike, Puma, Takko, C&A und H&M, oder des honduranischen Dachverbands AHM. Sie belegen die Untätigkeit zuständiger Behörden und der bürgerlichen Medien (die größten Zeitungen in Honduras gehören den Maquiladora- Betreiberfirmen).

    Im Film zeigen Menschen wie Yadira Minero vom Frauenrechtszentrum CDM, die ehemalige Maquiladora-Arbeiterin Luisa Basquez, die Heimarbeiterin Cecilia Lopez, Bartolo Fuentes, Mitherausgeber der Zeitschrift „La Vida en la Maquila“, oder auch Andres Hernandez, ein von der Umweltzerstörung durch Abwässer betroffener Anwohner/innen, ihr Gesicht, ein bisweilen kämpferisches, würdiges, von der Opferrolle emanzipiertes. Man begleitet Aktivist/inn/en, wie sie Arbeiter/innen über ihre Rechte aufklären und zu Demos mobilisieren.

    Durch Hinweise auf den Niedergang der hiesigen Textilindustrie wird verdeutlicht, dass deutsche Gewerkschaften jenseits der fast völkisch verkürzten Standortrhetorik eine transnationale Strategie entwickeln sollten, in praktischer Solidarität mit den Arbeiter/inne/n in den Maquiladoras.

    Die Konsument/inn/en wiederum sollten sich langfristig überlegen, ob sie lieber, auch im eigenen Interesse, ökologisch und fair gehandelte Produkte kaufen. Auch ihre Gesundheit wird durch die Giftstoffe in den Kleidern aus den Maquiladoras gefährdet. Dorit Siemers und Heiko Thiele lassen Risse im neoliberalen Gewand sichtbar werden und leisten so ihren Beitrag, dass ein anderer Mantel der Geschichte genäht wird, zu gerechten Löhnen und menschenwürdigen Arbeitsbedingungen. Den Mantel des Schweigens übergebe man der Altkleidersammlung, sofern das nicht den regionalen Märkten in Lateinamerika und Afrika schadet.

    Die Dokumentation, der ein informatives Booklet beigelegt ist, wird, wie ihre Vorgänger, ins Spanische übersetzt, damit die Basisorganisationen, denen die Spenden aus den Verkaufserlösen der DVD bzw. VHS-Videocassette zugute kommen sollen, diese bei ihrer politischen Bildungsarbeit einsetzen können.

    Jörg Siegert

    Quelle: graswurzelrevolution Nummer 325 - Januar 2008